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Südostschweiz 12.5.11

Düstere Aussichten für Pumpspeicher-Kraftwerke

 

Die Schweiz investiert Milliarden in neue Pumpspeicher-Kraftwerke. Doch ein Ausstieg aus der Atomenergie und Engpässe im Stromnetz stellen Nutzen und Rendite dieser gigantischen Strombatterien infrage.

 

Von Hanspeter Guggenbühl

 

Linthal. – Die Sonne strahlt. Der Firn des Tödi glänzt. Im Untergrund dröhnen Baumaschinen. Sie durchlöchern den Kalkstein des Mutterchopfs. Ein Labyrinth von kilometerlangen Stollen verbindet die – schon angebohrte – Kraftwerkzentrale mit der Aussenwelt. Schwere Laster transportieren Aushubmaterial. Dazwischen steht eine Gruppe von Fach- und Medienleuten. Sie besichtigt die zurzeit grösste Kraftwerk-Baustelle der Schweiz.

 

Pumpspeicher-Kraftwerke als Stromfresser

 

Hier, zuhinterst im Glarnerland, entsteht das Pumpspeicher-Kraftwerk Linthal 2015. In vier Jahren sollen seine ersten Turbinen Strom veredeln. Das heisst: Wenn Atom-, Kohle-, Wasser- oder Windkraftwerke im In- und Ausland mehr Elektrizität produzieren, als gebraucht wird, nutzen sie den überschüssigen (Band-)Strom, um Wasser vom Limmern-Stausee in den 600 Meter höheren Muttsee hin aufzupumpen. Steigt die Nachfrage nach Strom, lassen die Betreiber dieses Wasser wieder auf die Turbinen her unterrauschen und produzieren (Spitzen-)Strom.

 

Die Leistung von Linthal 2015 beträgt 1000 Megawatt. Das heisst: Wenn deren Maschinen pumpen oder turbinieren, verbrauchen oder erzeugen sie gleich viel Strom wie das AKW Gösgen produziert. Doch während Gösgen 8000 Stunden pro Jahr läuft, pumpen die Maschinen von Linthal während 3000 Jahresstunden und turbinieren 2300 Stunden lang. Das neue Werk verbraucht damit 20 bis 25 Prozent mehr Strom, als es produziert. Pumpspeicher-Kraftwerke werden darum mit Batterien verglichen, die ebenfalls mit Verlust Strom speichern.

 

Ähnlich verhält es sich mit den übrigen Schweizer Pumpspeicher-Projekten, die gebaut oder geplant werden (siehe Grafik): Mit einer Gesamtleistung von über 4000 Megawatt verbrauchen sie jährlich rund zwölf Milliarden Kilowattstunden (kWh) Bandstrom und erzeugen neun Milliarden kWh Spitzenstrom. Unter dem Strich bleibt eine Verlustmenge von drei Milliarden kWh pro Jahr (mehr als das AKW Mühleberg pro Jahr erzeugt). Finanziell lohnt sich der Veredelungs-Verlust, sobald der Marktpreis für Spitzenstrom um 25 Prozent über die Kosten des Pumpstroms steigt.

 

Pumpspeicher sind also eng verknüpft mit Atom-, Kohle- oder Windkraftwerken, die Bandstrom zum Pumpen produzieren, sowie mit dem Stromnetz, das Pumpstrom heran- und Spitzenstrom abtransportiert. Hier gerät nun die Veredelungs-Strategie ins Wanken: “Ohne zusätzliche Bandenergie in der Schweiz können die neuen Pumpspeicher-Kraftwerke nicht betrieben werden”, sagte Axpo-Entwicklungschef Niklaus Zepf schon im Juli 2006. Falls die Schweiz im Gefolge der Atomkatastrophe in Japan aus der Atomenergie aussteigt, fehlt dieser Bandstrom im Inland.

 

Nutzen und Renditen sind gefährdet

 

Damit wären die Schweizer “Strombatterien” auf importierten Pumpstrom angewiesen. Ideal wäre die Verknüpfung mit den Windkraftwerken, die vor allem in Nordeuropa gebaut werden. Doch auch diese – von Stromwirtschaft und Atomkraftgegnern gleichermassen angepriesene – Perspektive ist mittelfristig infrage gestellt. Denn es fehlt im In- und Ausland an Kapazität im Stromnetz, um den Pumpstrom aus Nordeuropa zu den alpinen Pumpspeichern zu leiten oder den hier erzeugten Spitzenstrom abzunehmen.

 

Konkret: In Winternächten, wo bevorzugt gepumpt wird, müssen die zu knappen Kapazitäten an der Nord- und Westgrenze der Schweiz schon heute durch Auktionen rationiert werden, was den Importstrom verteuert. Selbst die heutigen Kapazitäten der Schweizer Speicherkraftwerke lassen sich nicht voll nutzen. Engpässe für die Abnahme von Spitzenstrom bestehen laut Netzbetreiberin Swissgrid vor allem im Wallis und in Graubünden, wo Repower und Alpiq ihre Pumpspeicher-Kraftwerke bauen; das Linthal-Projekt hingegen ist wenigstens ans nationale Netz gut angebunden.

 

Verluste in Milliardenhöhe?

 

Werden damit die Schweizer Pumpspeicher-Kraftwerke zu Fehlinvestitionen? Auf diese Frage antwortete Axpo-Chef Heinz Karrer gestern in Linthal: “Es gibt Probleme, genügend Importstrom zu bekommen. Das ist die grosse Herausforderung.” Er sei aber zuversichtlich, dass sich die notwendigen Netzkapazitäten im In- und Ausland rechtzeitig bereitstellen liessen. “Darum”, so Karrer, “betrachte ich unser Pumpspeicher-Kraftwerk nicht als ‘stranded investment’.” Doch das Werk, dem die Axpo eine 80-jährige Amortisationszeit einräumt, werde “wohl weniger gut rentieren als geplant”. – Eine präzisere Antwort können 2095 unsere Urenkel liefern.